Habt ihr schon mal 1 Minute bewusst wahrgenommen?

Ich habe die Probe aufs Exempel gemacht.

Folgender Makromoment zeigt nun, was sich alles während dieser Minute abgespielt hat.

(selbst der Song ist in diesem Textausschnitt eine Minute lang)

 

Leg Lift

 

Ich lag auf meiner Yogamatte, die Hände neben dem Körper mit den Handflächen nach unten, die Wirbelsäule eng an den Boden gepresst, damit kein Hohlkreuz entsteht, die Muskeln fest angespannt und abwechselnd das gestreckte Bein hebend zur Stärkung des dritten Chakras. Es versorgt das Verdauungs-und vegetative Nervensystem mit Energie. Mit nur einer Minute täglich sollte ich bald spüren, wieviel Energie plötzlich durch mein drittes Chakra fließt. Doch irgendwie lag ich noch nicht richtig. Mir fehlte etwas unter dem Kopf, der so zu überstreckt den Boden berührte und mir Kopfschmerzen verursachen könnte. Deshalb hangelte ich mir ein kleines Kissen vom Sofa herunter. Ah, das war schon viel angenehmer.

 

Dazu lief zeitgleich und irgendwie passend der Song von The Carpenters - Mr. Postman, der mich die ungewohnte Übung etwas leichter absolvieren ließ. Fast hätte ich vergessen, die Zehen Richtung Körper zu ziehen, damit der Effekt stärker wird. Ich versuchte, meine ausgestreckten Beine im Takt zu heben und zu senken. Erst das linke Bein, dann das gleiche mit dem rechten, das sich deutlich höher und lockerer anheben ließ. Nach der Operation meiner ersten Hüfte links war die Hebevorrichtung eines Muskels eingeschränkt geblieben. Entsprechend schmerzte es auch, wenn ich das Bein über den Schmerzpunkt hinaus hochheben wollte.

 

“So many days you passed me by
See the tears standin' in my eyes
You didn't stop to make me feel better
By leavin' me a card or a letter
Mister Postman

(Mister Postman, look and see).Oh yeah
(If there's a letter in your bag for me)
Please, Please Mister Postman.(Why's it takin' such a long time)
Why don't you check it and see one more time for me
You gotta, wait a minute, wait a minute
Wait a minute, wait a minute…,”

 

das ich natürlich lauthals mitsang, während ich die vorherigen Melodiefolgen nur leise mitsummte, um nicht die Konzentration für meine Übung zu verlieren.

Indes die Katze von nebenan das 'mijaulen' anfing, ob meiner schiefen Töne wegen oder weil sie mal wieder stolz ihre erjagte Maus präsentieren wollte, sei dahingestellt.

Dem dazu gehörenden Nachbarkind war zum Heulen, allerdings, weil es wohl irgendwas angestellt hatte, das seine Mutter nicht so prickelnd fand. In das Geschrei der beiden mischte sich ein trotziger Unterton des Kindes.

Irgendjemand schien ein Feuer entfacht zu haben, weil mir beißender Geruch in die Nase stieg und mir fast meine Stimme weggebrochen wäre. Vielleicht hörte sich auch deshalb mein wait a minute, wait a minute etwas rauchig und verstimmt an. Denn natürlich machte ich meine Übung bei offenem Fenster.

Einen kurzen Moment vibrierte es unter mir, denn über das Kopfsteinpflaster schien ein Lastauto oder ähnlich schweres Fahrzeug gefahren zu sein. Diese kurze Erschütterung breitete sich unterirdisch aus und seine Wellen erreichten mein schmuckes Fachwerkhaus, dessen Gemäuer sie an mich weiterleiteten.

Am Schluss der Übung merkte ich, wie sehr ich Muskeln spürte, von denen ich nicht einmal wusste, dass ich sie habe. Vor allem auch, was den Bauch anbetraf, in dem es ja jetzt nur so vor Energie sprühen musste. Kaum gedacht, grumpelte es im selbigen, während zu allem Überfluss der Postmann zweimal klingelte.

Wait a minute, wait a minute … ;)